Einer der seltensten Käfer Europas ist im Böhmerwald zu Hause

Monitoring-Projekt zum Urwaldreliktkäfer Zottenbock der Nationalparks Bayerischer Wald und Sumava

Eintrag Nr. 62/2023
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Der Zottenbock ist einer der seltesten Käfer im Böhmerwald. (Foto: Stephan Rosenkranz /Nationalpark Sumava) 
Der Zottenbock ist einer der seltesten Käfer im Böhmerwald. (Foto: Stephan Rosenkranz /Nationalpark Sumava) 

Grafenau. Den ganzen Sommer über wurde in den Nationalparks Šumava und Bayerischer Wald ein umfangreiches Monitoring des Urwaldreliktkäfers Zottenbocks (Tragosoma depsarium) durchgeführt. Ähnlich wie der Raue Flachkäfer (Peltis grossa), der im Böhmerwald nach mehr als 100 Jahren wiederaufgetaucht ist, handelt es sich um einen sehr seltenen Käfer, der in Europa nur an wenigen Orten und in kleinen Populationen vorkommt. Im Nationalpark Šumava wurde sein Vorkommen jedoch auf fast dem gesamten Gebiet dokumentiert, wobei die Hauptkonzentration im Süden liegt.

"Der Zottenbock ist keine neue Art im Böhmerwald“, sagt Vladimír Dvořák, Zoologe der Nationalparkverwaltung Šumava. „Sein Vorkommen ist seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bekannt.“ 1898 wurde er in der Gegend vom Bayerischen Plöckenstein nachgewiesen, im Jahr 1928 gab es einen Nachweis aus dem Gebiet Lackenberg, sieben Jahre später wurde der Zottenbock in der Region Železná Ruda gefangen und 1965 am Plöckensteinsee, wo er auch 2014 wiederaufgetaucht ist. 

Spezielle Weibchen-Pheromone waren notwendig

Von den zwischen 2003 und 2020 veröffentlichten Aufzeichnungen wurden nur einige wenige Exemplare des Zottenbocks an acht Orten im südlichen Teil des Böhmerwalds dokumentiert. „Obwohl feststand, dass der Zottenbock in unserer Region einen geeigneten Lebensraum gefunden hat, war niemand in der Lage zu beurteilen, wie es um seine Population tatsächlich bestellt ist“, sagt Pavel Hubený, Direktor der Nationalparkverwaltung Šumava. Die Initiative für ein flächendeckendes, gezieltes Monitoring dieser Art ging schließlich von Kollegen der Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald aus, die über spezielle Weibchen-Pheromone verfügten, ohne die ein umfassendes Monitoring dieser Käferart nicht möglich gewesen wäre. 

„Wir haben fünfzig Standorte im gesamten Nationalpark Šumava ausgewählt, vor allem dort, wo zwischen 2007 und 2012 ein natürlicher Zerfall von Altwald stattgefunden hat. Dort haben wir Fensterfallen mit Pheromonen aufgestellt und dann in Zusammenarbeit mit unseren Forstkollegen alle Fangeinrichtungen regelmäßig kontrolliert. Gefangene Käfer haben wir mit einem eindeutigen Code markiert und wieder freigelassen. Auf diese Weise haben wir insgesamt siebzig Individuen an vierzehn Standorten gefangen", sagt Lucie Ambrožová, Entomologin vom Institut für Entomologie des Biologischen Zentrums der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, die das Monitoring koordiniert.

Zottenbock braucht feuchtes, sonniges Totholz

Die Art wurde mit einer Ausnahme in Gebieten ohne Management mit belassenem, nicht entnommenem Totholz nachgewiesen. Diese sind für das Überleben vieler spezialisierter Arten, die an die letzte Waldphase mit Absterben der Bäume, deren Zerfall und vorübergehende Aufhellung der Bestände gebunden sind, von entscheidender Bedeutung. Der Zottenbock sucht für seine Entwicklung meist umgestürzte Stämme, stehende Fragmente oder Stümpfe mit größerem Durchmesser auf. Er benötigt jedoch Holz mit spezifischen Eigenschaften - idealerweise Holz, das in Kontakt mit dem Boden steht, von wo aus es Feuchtigkeit erhält, außerdem stark besonnt ist, nicht zu viel Vegetation in der Nähe hat und mit Fäulnis befallen ist. Ideale Bedingungen finden sich meist in den Naturzonen, zum Beispiel am Bayerischen Plöckenstein oder Na Ztraceném, also in den Beständen, in denen 1998 und 2011 Blockaden gegen einen Holzeinschlag durch Umweltaktivisten stattfanden.

"Na Ztraceném und am Bayerischen Plöckenstein konnten wir nicht nur den Zottenbock nachweisen, sondern vor einigen Jahren auch eine andere, sehr seltene Käferart, die an morsches Holz gebunden ist - den Rauen Flachkäfer. Dies bestätigt einmal mehr, dass der Verzicht auf Eingriffe in diesen Gebieten keine Katastrophe für die Natur ist, wie manche vorausgesagt haben. Im Gegenteil, es ist von großer Bedeutung für die Erhaltung der Waldkontinuität, das Vorkommen sehr seltener Arten nicht nur von Wirbellosen, sondern z. B. auch von Pilzen und damit für die Erhöhung der Artenvielfalt", sagt Pavel Hubený, Direktor der Nationalparkverwaltung Šumava.

Käfer kann mehrere Kilometer an nur einem Tag fliegen

Aber auch in der Managementzone des Nationalparks Šumava wurde das Vorkommen des Zottenbocks bestätigt. "Dank des spezifischen Ansatzes in den Managementzonen des Nationalparks ist es uns gelungen, den Zottenbock auch in den Wäldern zu finden, in denen die Bäume abgeholzt werden. Allerdings wird nicht das gesamte Holz nach der Abholzung geräumt, sondern es werden dort absichtlich Fichtenfragmente belassen, z. B. Stümpfe und abgebrochene Bäume, die dann seltenen Arten Unterschlupf bieten. Diese Praxis wird von den Förstern der Nationalparkverwaltung häufig angewandt, und der Fund des Zottenbocks beweist einmal mehr, wie wichtig es ist, eine gewisse Menge am Totholz im Wald zu belassen, zum Beispiel in Form von hohen Stümpfen", sagt Vladimír Dvořák.

Das aktuelle Monitoring hat eine weitere, bisher unbekannte Erkenntnis gebracht - es hat die Überflüge des Zottenbocks dokumentiert und damit ihre Fähigkeit bestätigt, sich bis zu mehreren Kilometern weit auszubreiten. 

"Dank der einzigartigen Markierung der Käfer stellten wir fest, dass die Käfer in drei Fällen vom Ort des ersten Fangs zu einem anderen Ort flogen, wo sie erneut in einer Pheromonfalle gefangen wurden. In einem Fall handelte es sich um einen mehrtägigen Überflug über eine Entfernung von etwa 600 Metern. Im zweiten und dritten Fall legten die Käfer eine Strecke von etwa vier Kilometern zurück. In einem Fall dauerte es zwei Tage, im anderen Fall nur 24 Stunden", sagt die Koordinatorin Lucie Ambrožová.

Zottenbock ist im gesamten Nationalpark Sumava verbreitet

Das soeben abgeschlossene Monitoring hat ergeben, dass der Zottenbock praktisch im gesamten Šumava verbreitet ist, wenn auch wahrscheinlich in geringer Populationsdichte. Lange Überflüge zeigen auch, dass er in der Lage ist, selbst relativ abgelegene Gebiete mit geeignetem Lebensraum zu finden. Dies beweist nur, dass die natürliche, eingriffsfreie Entwicklung der Wälder im Nationalpark Šumava sowohl für die Erhaltung seltener Arten, die andernorts bereits verschwunden sind, als auch für die Erhöhung der Artenvielfalt wichtig ist. 

"Wir stehen erst am Anfang der systematischen Beobachtung und Erfassung eines so seltenen Tieres wie des Zottenbocks. Es wird sicher interessant sein, zu sehen, wie weit er sich auf beiden Seiten der Grenze ausbreitet. Zum Beispiel, ob er nicht im Tal des Flusses Otava oberhalb von Rejštejn auftaucht, wo gerade jetzt nach vielen Jahrzehnten eine große natürliche Veränderung des Waldbestandes stattfindet. Vielleicht wird sich herausstellen, dass der Böhmerwald der Ort mit der höchsten Dichte des Zottenbocks in ganz Mitteleuropa ist. Die Antworten auf diese Fragen stehen noch aus und wir müssen auf sie warten. Klar ist aber schon jetzt, dass eine unerwartet große Zottenbockpopulation hier lebt, und zwar dank eines so großen Schutzgebietes wie dem Nationalpark Šumava", fasst Pavel Hubený, Direktor der Nationalparkverwaltung Šumava, zusammen.

„Um 1930 wurde die Entwicklung von zwei Individuen sogar am Bach Medvědí in einer Eisenbahnschwelle bei Vimperk entdeckt", ergänzt Pavel Hubený, Direktor der Nationalparkverwaltung Šumava, zum einen der bizarren Funde.

Bildunterschrift:
Der Zottenbock ist einer der seltesten Käfer im Böhmerwald. (Foto: Stephan Rosenkranz /Nationalpark Sumava) 


 

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