Totholz rettet Baumsprösslinge

Unaufgeräumte Zustände im Wald helfen bei der Verjüngung und verringern Wildverbiss

Eintrag Nr. 47/2022
Datum:


In Wäldern mit viel Totholz sind Baumsprösslinge vor Verbiss besser geschützt als in aufgeräumten Forsten.
In Wäldern mit viel Totholz sind Baumsprösslinge vor Verbiss besser geschützt als in aufgeräumten Forsten.

Diese Grafik zeigt die prozentuale Wahrscheinlichkeit für Rehfraß in Abhängigkeit von der Anzahl der vor Ort experimentell ausgebrachten Baumkronen.
Diese Grafik zeigt die prozentuale Wahrscheinlichkeit für Rehfraß in Abhängigkeit von der Anzahl der vor Ort experimentell ausgebrachten Baumkronen.

Grafenau. Ordnung ist das halbe Leben. Das gilt in Kinderzimmer, Küche und Büro. Aber passt es auch im Wald? Muss der aufgeräumt sein? Oder ist Chaos und Verhau doch die bessere Alternative? Reh, Rothirsch und Tanne sehen das auf jeden Fall aus unterschiedlichen Perspektiven.

Die Quintessenz von Forschungsergebnissen aus dem Nationalpark lautet: Chaotische Zustände können durchaus für ordentliche Abläufe sorgen. Zum Beispiel bei der Verjüngung des Waldes. Je mehr Unordnung aus Totholzstämmen in einem Wald herrscht, desto schwieriger ist es für Rehe, die jungen Tannen anzuknabbern.

TOTHOLZ LIEFERT NÄHSTOFFE UND IST EINE BARRIERE

Nach dem Absterben vieler Altfichten im Nationalpark durch den Borkenkäfer in den 1990er Jahren gab es in der Region
die Sorge, dass sich der Wald in den totholzreichen Störungsflächen nicht verjüngen kann. Nach zehn Jahren zeigte sich
aber bereits, dass diese Annahme falsch war. Die Bäume wuchsen schneller als bei aufgeräumten Windwurfflächen, bei
denen Bäume nachgepflanzt wurden. Doch warum ist das so? Eine wichtige Rolle spielen die wertvollen Nährstoffe und die Feuchtigkeit, die Totholz spendet. Doch ist dies der einzige positive Effekt? Forschungen im Nationalpark zeigen, dass
Totholz auch eine natürliche Barriere für Rehe darstellt.

TANNEN AUF FREIEM FELD HABEN WENIG CHANCEN

Das Experiment hinter dieser Erkenntnis: Auf 384 Flächen wurde Totholz in Form von Baumkronen in unterschiedlicher
Menge ausgelegt. In die auf dem Boden liegenden Kronen wurden insgesamt 20 bis 40 Zentimeter große  Tannensetzlinge gepflanzt und im Folgejahr untersucht. Um einen Vergleich ziehen zu können, wurden auch Tannen ohne Schutz gesetzt. Die Ergebnisse waren eindeutig: Stand ein Tannen-Sprössling ohne Schutz im Wald, wurde er im ersten Jahr mit einer Wahrscheinlichkeit von 26 Prozent von Rehen angefressen. Stand er im Schutz von viel Totholz, lag die Wahrscheinlichkeit nur noch bei zwei Prozent. Dies kann auch für den Wirtschaftswald von Nutzen sein: Durch das Belassen von Totholz im Wald fördert man nicht nur die Artenvielfalt. Dadurch kann auch die Baumverjüngung auf natürliche und kostengünstigere Weise geschützt werden.

ROTHIRSCHE DANKEN BORKENKÄFERN UND STURM

Aber wie reagieren eigentlich Rothirsche auf Borkenkäfer und Sturm? Um dies zu beantworten, wurden Telemetrie-Daten
von mit Sendern bestückten Tieren und Zeitreihen von Sattelitenbildern ausgewertet. Ergebnis dabei: Für Hirsche verbessert sich die Lebensraumeignung in Störungsflächen über einen Zeitraum von 25 Jahren. Spätestens dann nutzen sie diese Areale wieder wie gewohnt. Werden Wälder hingegen nach Borkenkäfer und Co. komplett geräumt, verlassen Rothirsche diese Bereiche. Rehe hingegen sind da weniger anspruchsvoll. Auch auf kahlen Waldflächen sind sie noch präsent. Dafür meiden Rehe naturnah belassene Störungsflächen – vor allem im Winter. Im Sommer sind sie dort aber immer noch unterwegs.

KURZ UND BÜNDIG: 

  • Totholz bietet die ideale Nährstoffgrundlage für kommende Baumgenerationen.
  • Chaos und Verhau sorgt dafür, dass Rehe bei Tannen deutlich weniger Rehfraß hinterlassen.
  • Rothirsche kommen mit großflächigen Störungsflächen gut klar.

Der Text ist in der Broschüre "Forschung im Nationalpark" erschienen und kann auf der Homepage des Nationalparks Bayerischer Wald heruntergeladen werden. 

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