Tierische Landschaftsgestalter

Auszug aus Naturschutz-Broschüre: Wenn Rotes Höhenvieh auf zwei Schachten grast

Eintrag Nr. 37/2023
Datum:


Beweidung durch die nationalparkeigene Herde Rotes Höhenvieh am Hochschachten.
Beweidung durch die nationalparkeigene Herde Rotes Höhenvieh am Hochschachten.

Gewöhnliches Fettkraut. Foto: Petr Koutecký
Gewöhnliches Fettkraut. Foto: Petr Koutecký

Zwieslerwaldhaus/Frauenau. Der Tau blinzelt noch an einigen Grashalmen, während die Sonne immer mehr Kraft entfaltet. In den wärmenden Strahlen sind schon die ersten Rinder auf den Beinen, um sich ums Frühstück zu kümmern. Wie kleine Feinschmecker grasen sie selektiv die Weidefläche ab. Der Rest der Herde macht es sich derweil noch gemütlich und be­obachtet ihre hungrigen Kameraden mit stoischer Ruhe. Das Treiben spielt sich in den Nationalpark-Hochlagen ab, genauer gesagt auf einem der Schachten. Wie Inseln stechen diese besonderen Lebensräume aus dem Waldmeer heraus. Ohne den Appetit der Rinder oder aktive Landschaftspflege würden die Flächen auf kurz oder lang wieder bewaldet und verschwinden.

VOM WEIDESTÜTZPUNKT ZUM HOTSPOT DER BIODIVERSITÄT

Dass es in den Hochlagen des Bayerischen Waldes überhaupt derartige Offenlandflächen gibt, geht auf bäuerliche Traditionen zurück. Seit dem 17. Jahrhundert entstanden die Schachten durch Rodung und anschließende Weidenutzung. Viele Höfe schickten im Sommer einen Teil ihres Viehs in die rauen Hochlagen. Erst in den 1960er Jahren wurde diese Art der Haltung unrentabel und die Beweidung aufgegeben. Mit den Vierbeinern ging auch deren Arbeitsleistung verloren. Sie waren nicht nur dafür verantwortlich, die Schachten als Freiflächen zu erhalten. Sie förderten zudem viele zum Teil seltene Arten, die sich auf den Bergweiden angesiedelt hatten. Über Jahrhunderte entstandene Hotspots der Biodiversität standen plötzlich vor einer ungewissen Zukunft.

SEIT DEM ENDE DER BEWEIDUNG MUSS HAND ANGELEGT WERDEN

Hätte der Mensch nicht abermals eingeschritten, würden die Schachten von Jahr zu Jahr mehr zuwachsen. Der Wald würde sich offene Weideinseln zurückholen. Eine Entwicklung, die den natürlichen Abläufen entsprechen würde. Paradoxerweise ginge damit aber wertvoller Lebensraum verloren. Gerade Bergmähwiesen und artenreiche Borstgrasrasen sind sehr selten und daher durch die Europäische Union besonders geschützt. Vor allem der Bayerische Wald-Verein setzt sich seit jeher dafür ein, ausgewählte Schachten im Schutzgebiet in ihrer bisherigen Form zu erhalten. Noch heute besteht eine Kooperation des Vereins mit dem Nationalpark. Das bedeutet, dass Freiwillige und Nationalparkmitarbeiter die Ränder der ehemaligen Weideflächen Jahr für Jahr ausschneiden – mit viel Handarbeit. Somit wird dem Vordringen von Baum- und Strauch-Bewuchs Einhalt geboten.

RINDER MACHEN DEN JOB VIEL BESSER ALS MENSCHEN

Was der Mensch dabei nicht simulieren kann, sind die tierischen Effekte der einstigen Beweidung. Rinder fressen sehr selektiv, bevorzugen die einen Pflanzen und lassen die anderen stehen. Zudem hat auch deren Tritt einen beachtlichen Einfluss auf die Bodenvegetation. Daher unterhält der Nationalpark seit 2014 eine rund zehnköpfige Herde einer alten Haustierrasse, des Roten Höhenviehs. Auf Teilen von mittlerweile zwei Schachten sorgen die Vierbeiner dafür, dass die besonderen Lebensräume in ihrer ursprünglichen Form erhalten bleiben. Ein engmaschiges Vegetationsmonitoring überwacht die Maßnahme. Fazit dabei: Die Rinder leisten beste Arbeit, denn die Anzahl seltener Arten ist im Vergleich zum nicht beweideten Zustand merklich gestiegen.

Gewinner

Das GEWÖHNLICHE FETTKRAUT ist einer der Beweidungsgewinner. Denn: Es braucht die Störung auf den Schachten. Die Trittschäden der Rinder begünstigen die konkurrenzschwache, fleischfressende Pflanze. Mit ihren klebrigen Blättern fängt und verdaut das Fettkraut Insekten – auch eine Art der Anpassung an seine nährstoffarmen Wuchsorte.

Vor Ort erleben

Normalerweise grast das Rote Höhenvieh von Anfang Juli bis Mitte Oktober abwechselnd auf dem Hoch- und Ruckowitzschachten. Der Beweidungszeitraum wird dabei flexibel an die Vegetationsentwicklung und das Wetter angepasst.

 

Hinweis: Dieser Text stammt aus der im Juli 2023 erschienenen Broschüre "Naturschutz im Nationalpark". Die komplette Publikation kann auf der Nationalpark-Homepage als ePaper gelesen werden.

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