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Im Tod wimmelt es von Leben

Aasforscher Christian von Hoermann gibt Einblicke in die Bedeutung von Kadavern im Wald

Eintrag Nr. 11/2024
Datum:


Mit Fliegentöterpilzen befallene Fliegen. Foto: Nationalparkverwaltung Harz
Mit Fliegentöterpilzen befallene Fliegen. Foto: Nationalparkverwaltung Harz

Grafenau. Gestorben wird immer und überall. Bei Menschen wie bei Tieren. Einen wesentlichen Unterschied gibt es zwischen den beiden: Während Menschen sterben und bestattet werden, verenden Tiere oft im Verborgenen. Im Wald, am Strand, auf der Wiese. Was geschieht, wenn Kadaver in der Natur einfach liegen bleiben, darauf wollen Forscher aus 15 deutschen Nationalparks nun den Blick richten.

Christian von Hoermann ist mit einer Gruppe Studenten draußen im Wald unterwegs. Der Aas-Forscher des Nationalparks Bayerischer Wald führt die zehnköpfige Gruppe an eine Stelle, an der er vor einer Woche einen Rehkadaver abgelegt hat. Das Tier wurde von einem Auto angefahren und tödlich verletzt. Es landete nicht in der Tierkörperbeseitigung, sondern soll der Wissenschaft noch wertvolle Dienste leisten. Und zwar einfach, indem es verwest.

Selbst im Winter sind noch einige Maden aktiv

Was es damit auf sich hat, wollen die Studenten heute herausfinden. Es ist für Mitte Dezember warm, seit einer Woche liegen die Temperaturen über dem Gefrierpunkt. Das ideale Wetter für Beobachtungen am Kadaver, wie Christian von Hoermann meint. „Einzelne Madennester könnten noch aktiv und an der Zersetzung des toten Rehs beteiligt sein.“ Einige Studenten treten zögernd an das tote Tier heran, manche sind zunächst erschrocken. Es sind tatsächlich noch vereinzelt Maden im Bodenbereich unter dem Kadaver sichtbar. „Seien Sie froh, dass wir nicht im Hochsommer hier sind. Sonst hätten Sie auch noch einen ganz anderen Geruch in der Nase“, sagt der Forscher, zieht weiße Schutzhandschuhe an und nimmt mit einem Wattestäbchen einen Abstrich im Maul des Rehes.

Was an diesem Forschungsplot geschieht, erklärt er so faszinierend, dass letztendlich alle Führungsteilnehmer ihre Berührungsängste verlieren und näherkommen. Sie hören zu, beugen sich nach unten – und schauen hin. Und das ist ein Punkt, den Christian von Hoermann und seine Kollegen 14 weiterer deutscher Nationalparks mit ihrem einzigartigen Projekt erreichen wollen: Die Menschen für das Thema „Sterben in der Natur“ zu sensibilisieren. Und ihr Verständnis dafür zu wecken, wie wichtig tote Tiere sind.

Bundesweites Forschungsprojekt untersucht die Bedeutung von Aas fürs Ökosystem

„Wir kennen die Bedeutung von Totholz für die Artenvielfalt“, sagt Christian von Hoermann. „Aber wir wissen nicht, welchen Stellenwert das tote Tier einnimmt.“ Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, wurden in insgesamt 15 Nationalparks im vergangenen Jahr sowohl in den Sommer- als auch Wintermonaten Kadaver ausgelegt. „Jedes Schutzgebiet hat als allgegenwärtige Tierart tote Rehe platziert sowie Kadaver von Tieren, die für den Lebensraum spezifisch sind.“ Am Nordseestrand war es der Seehund, im Bayerischen Wald der Rothirsch und im Gebirge bei Berchtesgaden die Gams.

Mit Insekten- und Fotofallen am und im Kadaverumfeld soll gezeigt werden, welche Arten sich an dem toten Tier bereichern. Die bisher erhaltenen Ergebnisse sind beeindruckend, wie Hoermann erklärt. Von Luchs und Wolf über Seeadler und Aaskäfer laben sich nicht nur viele Säugetiere und Insekten am Kadaver. Die DNA-Analyse von Abstrichen zeigt außerdem, dass auch Bakterien und Pilze profitieren. „Erste Untersuchungen bei uns im Nationalpark zeigten 17 Wirbeltierarten, 92 Käferarten, 97 Zweiflüglerarten, 1820 Bakterienarten und 3726 Pilzarten an der toten tierischen Biomasse“, berichtet Hoermann. Ein Wildtierkadaver ist somit ein wahrer Hotspot der Biodiversität. Aas gibt viel mehr Nährstoffe frei als andere tote organische Materie wie Holz oder Blätter. „Das, was sich beispielsweise aus einem 30 Kilogramm schweren Kadaver an Nährstoffen löst, entspricht in vielen Agrarsystemen einer Düngung über 100 Jahre hinweg.“

Projekt soll Handlungsempfehlungen für das Belassen von Aas in Schutzgebieten geben

Obwohl dieser Mehrwert für die Artenvielfalt bekannt ist, ist selbst in Nationalparken das Belassen verunfallter oder - im Fall von Meeressäugern – gestrandeter Wildtiere bislang kaum im Schutzgebietsmanagement vorgesehen – obwohl die Förderung natürlicher Prozesse eine Aufgabe der Nationalparks ist. Dies soll sich ändern. „Am Ende des vom Bundesamt für Naturschutz geförderten Projektes, bei dem die Uni Würzburg Projektträger ist, wollen wir Handlungsempfehlungen für das Belassen von toten Tieren in Nationalparks und Naturlandschaften geben“ – und damit das Thema „Sterben in der Natur“ vom Verborgenen ins Licht rücken.

 

Grafik: Einen grafischen Einblick in die Wechselwirkungen am Aas bietet unsere Grafik "Lebensraum Tottier".

 

Dieser Text stammt aus der aktuellen Ausgabe des Nationalpark-Magazins "Unser wilder Wald". Die komplette Publikation ist auch als PDF-Version auf der Nationalpark-Homepage abrufbar.

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